Der Heilige Qur’an wurde vom Heiligen Propheten Muhammad (Friede und Segen Allahs seien auf ihm) Wort für Wort als Offenbarung von Allah, dem einen Gott, in einer Zeitspanne von 23 Jahren empfangen. Es handelt sich beim Heiligen Qur’an also nicht um inspiriertes Menschenwort, sondern um wörtliche Offenbarung vom Schöpfer aller Wesen und Dinge.
Der Qur’an umfasst die Grundlagen des Islam. Kurzum: Dargelegt werden sowohl die Pflichten des Menschen gegenüber seinem Schöpfer, Gott, als auch jene gegenüber Gottes Schöpfung – wobei die Befolgung jener den Menschen, im wörtlichen Sinne, zum Islam führen soll, was verstanden werden kann als die Erlangung von Frieden durch die vollkommene Unterwerfung unter den Willen Gottes.
Die Suren des Qur’an sind nicht, wie fälschlicherweise immer wieder zu vernehmen ist, der Länge nach angeordnet, sondern sind in einem inneren Zusammenhang entsprechend der Weisung Allahs zusammengestellt worden. Der Heilige ProphetSAW pflegte nach dem Erhalt einer Offenbarung dem Schreiber der Verse anzugeben, an welche Stelle sie einzufügen seien. Er selbst rezitierte im Monat Ramadan den gesamten Qur’an in einer Reihenfolge, die später, unter dem Kalifat von Hadhrat UthmanRA, als letztliche Ordnung zusammengetragen wurde.
Die 6348 Verse des Heiligen Qur’an umfassen auch die Eingangsverse, die sogenannte Basmala, also den Vers: „Im Namen Allahs, des Gnädigen, des Barmherzigen.“ Diese Zählweise, wiewohl in anderen Qur’an-Ausgaben nicht so vorgenommen, findet Rückhalt in den Worten des Propheten MuhammadSAW, den sogenannten Hadith.
Häufige Wiederholungen bestimmter Geschichten mögen beim oberflächlichen Leser den Eindruck erwecken, es handele sich hierbei tatsächlich nur um Wiederholungen. In der Tat aber haben wir es mit der erneuten Nennung von für den Sachverhalt der einzelnen Suren wichtigen Punkten zu tun.
Allah spricht im Qur’an über alltägliche Aufgaben, über Gebote und Verbote, die für ein reines Leben zu beachten sind, über das Jenseits (in einer Metaphorik, die sich irdischer Vergleiche bedient), über Seine Barmherzigkeit, die jedes Ding umfasst (7:157), über das Strafgericht, über Wege zur Vergebung, denn eine ewige Verdammnis findet keinen Platz im Islam.
Allah spricht dabei, je nach Lage, von Sich als Allah, als majestätisches Wir, oder, einen bestimmten, starken Aspekt betonend, von „Er“. Gott aber ist nicht männlich, sondern jenseits von Geschlechtlichkeit.
Was dem Qur’an eine Einzigartigkeit unter allen offenbarten Büchern Gottes verleiht, ist der Umstand, dass er vom Tage seiner Offenbarung bis heute unverfälscht und ohne Änderung erhalten geblieben ist. Gott Selbst hatte dafür Sorge getragen, wie Er im Heiligen Qur’an betont:
„Wahrlich, Wir Selbst haben diese Ermahnung herabgesandt, und sicherlich werden Wir ihr Hüter sein.“ (15:10)
Der Qur’an erhebt den Anspruch, Zusammenfassung aller religiösen Lehren aller Zeiten zu sein und damit Vervollkommnung und Abschluss des göttlichen Gesetzes. So wird der Qur’an als „Mutter aller Schriften“ bezeichnet, als himmlische Gesetzestafel, aus der zuvor zu den verschiedenen Völkern Teilstücke als Offenbarung für ihren jeweiligen Nutzen herabgesandt worden waren.
Der Heilige Prophet MuhammadSAW, der, den Worten seiner Gattin Hadhrat AischaRA zufolge, die lebendige Verkörperung des Qur’an darstellte, war der erste Prophet, der zur gesamten Menschheit entsandt worden war und nicht, wie die Propheten vorangegangener Völker, nur einen gewissen zeitlichen Auftrag hatte.
Der Qur’an ist in sich widerspruchsfrei und im Einklang mit den Gesetzen der Natur.
„Wollen sie denn nicht über den Qur’an nachsinnen? Wäre er von einem anderen als Allah, sie würden gewiss manchen Widerspruch darin finden.“ (4:83)
Bestimmte Verse sind seit ihrer ersten Rezeption im christlich geprägten Abendland Gegenstand von Kritik, doch, unter Berücksichtigung des oben angeführten Verses, gilt zu konstatieren, dass entgegen aller Kritik einer etwaigen inneren Widersprüchlichkeit der Verse zueinander der Qur’an in sich kohärent und vollkommen ist. Allein dem voreingenommenen Leser mangelt es in seinem Trachten nach Zwist an Verständnis, was Allah in Seiner grenzenlosen Allwissenheit im Qur’an zu dieser Feststellung anführt:
„Er ist es, der das Buch zu dir herabgesandt hat; darin sind Verse von entscheidender Bedeutung – sie sind die Grundlage des Buches – und andere, die unterschiedlich gedeutet werden können. Die aber, in deren Herzen Verderbnis wohnt, suchen gerade jene heraus, die verschiedener Deutung fähig sind, im Trachten nach Zwiespalt und im Trachten nach Deutelei. Doch keiner kennt ihre Deutung außer Allah und diejenigen, die fest gegründet im Wissen sind, die sprechen: „Wir glauben daran; das Ganze ist von unserem Herrn“ – und niemand beherzigt es, außer den mit Verständnis Begabten.“ (3:8)
In diesem Zusammenhang ist auch jener Vers zu verstehen, der zu dem Missverständnis führt, der Qur‘an dürfe nur nach eingehender Waschung berührt werden:
„Ich schwöre beim Herabschießen der Sterne – und fürwahr, das ist ein großer Schwur, wenn ihr es nur wüsstet –, dass dies wahrlich ein erhabener Qur‘an ist, in einem verborgenen Buche. Keiner kann es berühren, außer den Gereinigten – eine Offenbarung vom Herrn der Welten.“ (56:76-81)
Zum Ausdruck kommt hier, dass die wundersamen, tiefgründigen Schätze des Qur’an verborgen liegen, die nur von Menschen geborgen werden können, die von Gott mit Weisheit und Frömmigkeit gesegnet sind. Der Heilige Qur’an ist das größte Wunder der Menschheit, das universelle Rechtleitung und eine Führung für die Menschheit über gesellschaftliche und zeitliche Grenzen hinweg darstellt. Jedoch müssen für das Erkunden der feinen Erkenntnisse von Gottes Buch gewisse Bedingungen erfüllt werden.
Zu betonen ist auch, dass die immerwährende Rechtleitung durch den Heiligen Qur’an Bekräftigung findet durch die Vorsehung Gottes, die im Eingangsvers einer jeden Sure, in „Im Namen Allahs, des Gnädigen, des Barmherzigen“, artikuliert wird. Zum Ausdruck kommt, dass Gott in der Erschaffung und Erhaltung des Kosmos sowohl für die physischen Belange und Bedürfnisse des Menschen Sorge getragen hat als auch für die geistigen und spirituellen. Das dem Menschen innewohnende Dürsten nach spiritueller Erfahrung findet Widerhall in der göttlichen Bekundung, dass Er existiert und dem Menschen antwortet, wenn er Ihn anruft:
„Und wenn Meine Diener dich nach Mir fragen (sprich): ‚Ich bin nahe. Ich antworte dem Gebet des Bittenden, wenn er zu Mir betet.‘“ (2:187)
Der Gott des Islam, Allah, ist also ein lebendiger Gott, der heute wie zu allen Zeiten Sich dem Menschen offenbart, auf Gebete reagiert, Wunder wirkt und kommuniziert.
Die unnachahmliche Sprache und der die menschliche Erfahrung überschreitende Inhalt des Qur’an weisen ihn als das Wort Allahs aus. Gott Selbst hat wiederholt die Menschen herausgefordert, den Nachweis dafür zu erbringen, dass der Qur’an nur von einem Menschen erdichtet sei. Das wäre möglich, wenn die Menschheit einen Vers oder eine Sure ähnlich denen des Qur’an zustande brächte:
„Sprechen sie: ‚Er hat es erdichtet‘? Nein, aber sie wollen nicht glauben. Lass sie denn eine Rede gleich dieser vorbringen, wenn sie die Wahrheit sprechen!“ (52:34,35)
Der Qur’an bezeichnet sich als vollkommenes Buch. Gleich zu Anfang, in der Sure al-Baqara, wird gesagt:
„Dies ist ein vollkommenes Buch; es ist kein Zweifel darin: eine Richtschnur für die Rechtschaffenen.“ (2:3)
Indes kann keine Übersetzung des Qur’an Anspruch auf Vollkommenheit erheben, auch die vorliegende nicht. Gleichwohl hat die hier vorliegende Übersetzung sowohl das Wohlgefallen der islamischen Welt hervorgerufen als auch das von deutschsprachigen Muslimen, was zu der häufigen Bekundung führte, dass diese Ausgabe lesenswert ist und die beste deutsche Übersetzung darstellt, gleichwohl es über das Verständnis bestimmter Fachausdrücke innerislamische Diskussionen gibt.
Bei dieser hier vorliegenden Übersetzung handelt es sich um eine tiefgründige Überarbeitung jener Übersetzung, die im Jahre 1954 erstmals von der Ahmadiyya Muslim Jamaat im deutschsprachigen Raum veröffentlicht wurde. Die Arbeiten an dieser Übersetzung begannen indes schon im Jahre 1945. Maulana Jalaluddin Shams, seinerzeit in London stationierter Theologe und Missionar der Ahmadiyya Muslim Jamaat, brachte den Stein ins Rollen, als er den Übersetzungsdienst Berlitz damit beauftragte, eine deutsche Übersetzung des Heiligen Qur’an zu erstellen. Im Jahre 1948 übernahm der seinerzeit in der Schweiz stationierte Missionar Sheikh Nasir Ahmad die Aufgabe, die von Berlitz erstellte Übersetzung zu überarbeiten. 1954 erschien sodann die erste Auflage dieser Übersetzung. Sie wurde vom Verlag der Ahmadiyya Muslim Jamaat „The Oriental and Religious Publishing Publication“ Rabwah, Pakistan, in Kooperation mit dem Otto Harrassowitz Verlag in Wiesbaden herausgegeben. Seit ihrer erstmaligen Veröffentlichung erfreut sie sich großer Beliebtheit und gilt als eine der meistverkauften deutschen Übersetzungen. Dutzende Auflagen wurden mit Verbesserungen nachgedruckt.
Nun indes wurde die Übersetzung einer detaillierten und systematischen Überprüfung unterzogen, wobei ein Fokus darauf lag, den sprachgewaltigen und poetischen deutschen Text, der aufgrund seiner Entstehung in den 1950er Jahren einen zuweilen schwer verständlichen aus der Zeit gefallenen Duktus aufwies, stilistisch der Zeit anzupassen, um so für eine bessere Verständlichkeit zu sorgen. In diesem Zuge wurde der gesamte Text auch der neuen deutschen Rechtschreibung angepasst, wobei solche arabischen Begriffe, die in der deutschen Übersetzung übernommen wurden, nach den Richtlinien der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft (DMG) transliteriert wurden. Eine Erklärung der DMG-Umschrift befindet sich im Anhang.
Zudem wurden in der vorliegenden Übersetzung viele Verbesserungen vorgenommen, um eine inhaltliche Kohärenz gegenüber der diesem deutschen Text zugrundeliegenden Übersetzungsvorlage zu gewährleisten. Diese Übersetzung orientiert sich an das „Tafsīr-i Saġīr“ von Hadhrat Mirza Bashir ud-Din Mahmood AhmadRA, dem zweiten Kalifen des Verheißenen Messias und Begründers der Ahmadiyya Muslim Jamaat, Hadhrat Mirza Ghulam AhmadAS. Grundlage war also eine kleine Exegese, eine Art kommentierte Übersetzung, die für diese Überarbeitung der deutschen Übersetzung zu Rate gezogen wurde.
Darüber hinaus wurde verstärkt auf eine Vereinheitlichung bei der Übertragung von arabischen Begriffen in korrespondierende deutsche geachtet, sodass auch die deutsche Terminologie eine dem arabischen Gottestext nahekommende innere Logik aufweist.
Neu in dieser Auflage ist zudem eine grundlegende Überarbeitung und Erweiterung der Anmerkungen, die nun indes nicht, wie in den vorherigen Auflagen, am Ende des Textes aufgelistet sind, sondern, der leichteren Handhabung wegen, direkt als Fußnote unterhalb des Fließtextes platziert sind. Hinzugefügt wurde auch ein Glossar, das einige für das Verständnis des Qur’an notwendige islamische Begriffe und Konzepte erklärt, sowie ein ausführlicher Index, das dem interessierten Leser nun ermöglicht, wichtige Begriffe und Themen im Qur’an zu finden.
Das Arabische – auch „Mutter der Sprachen“ und Ursprache genannt -, das Allah verwendet, ist mit der arabischen Umgangssprache nicht zu vergleichen. Es ist ein Hocharabisch, das wir in der überlieferten Fassung der deutschen Übersetzung zur Seite gestellt haben, insbesondere, um dem muslimischen Leser die Rezitation des Qur’an zu ermöglichen. Große Dringlichkeit bestand darin, den arabischen Text in einer Fassung zu drucken, die eine bessere Lesbarkeit verspricht. Sodann wurde in dieser verbesserten Auflage ein arabischer Text gesetzt, der ein zeitgemäßeres und leichter zu rezipierendes Schriftbild darstellt.
Bei der Erarbeitung des deutschen Textes sind wir so vorgegangen, dass wir der deutschen Sprache entgegenkommende Einlassungen in Klammern hinzugesetzt haben. Der wortgetreue Text ist somit die ohne eingeklammerte Worte gesetzte Fassung. In der Regel wurden solche Pronomen, die sich auf Gottes Wesen beziehen, großgeschrieben. Eine Ausnahme in der vorliegenden Ausgabe bilden Relativpronomen in Nebensätzen, bei denen aufgrund der einfachen Lesbarkeit auf die Großschreibung verzichtet wurde.
Der Qur’an hat im Abendland große Aufmerksamkeit und Beachtung gefunden. Schon Goethe hat auf die besonderen, herausragenden Eigenschaften des Heiligen Qur’an verwiesen. Indes haben unzulängliche Übersetzungen, die von Voreingenommenheit und christlicher Apologetik künden, den Genuss und die Freude an der Qur’an-Lektüre oft genug ge- und verhindert. Unterschiedliche Übersetzungsweisen und der Gebrauch altertümlicher Sprache haben oft genug den Qur’an eher zu einem missverstandenen, denn zu einem klaren Buch für den deutschsprachigen Leser gemacht.
Mögen Leserinnen und Leser der vorliegenden Ausgabe Frieden und Leitung durch diese Übersetzung finden, möge sie zum Nutzen der Menschheit dienlich sein.
Der Herausgeber
Frankfurt am Main, im Mai 2021